Auslöschen - das bedeutet für mich der Moment , in dem etwas

Lebendiges zu Materie wird. Am deutlichsten wurde mir das, als mein

Vater starb. Ich war in den letzten 3 Wochen bei ihm. Er starb in seinem

Haus. Er wusste, dass nun für ihn die Zeit gekommen war, zu sterben.

Wie auch wir, die in seiner Nähe blieben, es wussten. Es waren feierliche

Tage, voller Aufmerksamkeit und ganz alltäglichen Tätigkeiten. Bis zum

vorletztenTag seines Lebens stand er auf und kleidete sich an. Nur die

Schuhe passten nicht mehr, da die Füße so geschwollen waren.

Seine Bewegungen wurden langsamer, eine nach der anderen machte er

zum letzten Mal in seinem Leben. Als er nicht mehr aufstand, legte ich

mir eine Decke auf den Boden neben seinem Bett. Seine Hand hielt

meine.

Dann auch das nicht mehr. Und doch war er immer noch lebend,

atmend, schwerer atmend, als atme er gegen einen Widerstand

an. Plötzlich zeitlos, war kein Atem mehr hörbar. Der Atem meines

Vaters war erloschen. Nach alter Tradition öffnete ich das Fenster, damit

das Nichtfassbare, das ihn beseelt hatte, so geachtet himmelwärts

aufsteigen konnte. Sein geliebter Körper blieb vorhanden, doch

ausgelöscht war sein Leben.

Als ich etwas später auf die Terrasse ging, lag dort ein Vogel regungslos.

Auch er nur noch tote Materie. Es berührte mich diese Wiederholung,

dieser Hinweis auf die Auslöschung , auf die Anwesenheit des Todes,

der dem Körper den Atem nimmt .

Die Materie verwandelt, zersetzt sich. Der Geist verflüchtet sich, nie

werden wir wissen, was geschieht mit ihm. Von den Toten bleiben Bilder

zurück, in der Erinnerung und als Abbilder. Fotografien, die wir beleben

durch unseren Blick auf sie. Aber sie heben die Auslöschung nicht auf.

 

Ingrid Bacher


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